Euch gehrt der Himmel - Brieftauben als Ergebnisdienst 11FREUNDE
![](https://cdn.statically.io/img/11freunde.de/assets/images/_1200x630_crop_center-center_82_none/imago01831299h.jpg)
Karl-Heinz Zawar, den alle nur „Fänna“ nannten, war einer der ersten Fußballreporter in Oer-Erkenschwick. Ein sonderbarer junger Mann, fanden einige Kinder in der Engelbertstraße, denn Fänna wohnte mit seinen Brieftauben in einem Verschlag unterm Dach. Es hieß, er esse jeden Abend ein Stück Fleischwurst. Andere sagten, er sei ein liebenswerter Witzbold. Zudem einer, der über alles als Erster Bescheid wusste, denn wenn sein Verein, die SpVgg Erkenschwick, auswärts antrat, setzte er seine Tauben als Ergebnisdienst ein. Stunden vor Anpfiff gab er den Erkenschwick-Schlachtenbummlern seine sechs besten Tiere mit, und sobald ein Tor fiel, befestigten diese einen Zettel am Krallengelenk und schickten die Vögel auf die Reise, heim in die Engelbertstraße nach Oer-Erkenschwick.
Die Nachrichtenzentrale bis zum Schlusspfiff
Der Schriftsteller Hans-Dieter Baroth hat davon in seinem Buch „Jungens, Euch gehört der Himmel“ erzählt, denn er war einer der Nachbarsjungen, die auf der anderen Straßenseite von Fännas Wohnung auf die Kunde der Tauben warteten. „Fänna saß unter dem Hausdach in seinem Schlag, und wir lungerten vor dem Bergmannshaus gegenüber. Bis dann aus Oberhausen oder Katernberg der erste Kröpper kam.“
Dann öffnete Fänna die Luke, und die Kinder ahnten bereits, wie es um ihre Spielvereinigung stand, denn mal lächelte der Mann, mal sah er betrübt aus. „Mit der einen Hand hielt er dann das Klappfenster hoch, die andere formte er zu einem Rohr und rief den Spielstand. Fänna blieb die Nachrichtenzentrale bis zum Schlusspfiff.“
Die frohe Botschaft im Krallenring
Seine Methode war nicht neu. Seit in Deutschland Fußball gespielt wurde, setzten Fans Brieftauben zur Ergebnisübermittlung ein. Der Radioreporter Rudi Michel erinnerte sich einmal an seine Kindheit in den frühen Dreißigern in Kaiserslautern: „Unser Nachbar hat zu den Auswärtsspielen sechs Brieftauben mitgenommen. Und nach jedem Tor steckte er einer Taube die frohe Botschaft in den Ring.“
Doch die Rennpferde der Lüfte kamen nirgendwo so exzessiv zum Einsatz wie im Ruhrgebiet, schließlich waren die Wege nicht weit, für 30 Kilometer brauchte eine Taube weniger als eine halbe Stunde. Auch unter den Fußballern war Brieftaubenzucht ein verbreitetes Hobby, Klaus Fichtel und Helmut Rahn betrieben es mit Hingabe. Sogar die Vereine selbst vertrauten auf die fliegenden Reporter. Gelegentlich aber wurden sie so zum Gespött der Presse.
Einmal berichtete etwa der „Sport Report“ vom Westdeutschen Meisterschaftsfinale 1923, bei dem die Funktionäre von TuRu Düsseldorf nach 45 Minuten gegen Arminia Bielefeld so siegesgewiss waren, dass sie aus dem Essener Uhlenkrug-Stadion Brieftauben in die Heimat entsandten. Ihre Nachricht: „Sieg sicher!“
Allerdings hatten die Düsseldorfer nicht mit dem Kampfgeist der Ostwestfalen gerechnet. In der Nachspielzeit gelang Bielefelds Willi Pohl das umjubelte Siegtor. Es fiel zeitgleich mit der Ankunft der Tauben am Rhein.
„Kommt her, oder ich brate euch heute zum Abendessen!“
Natürlich verlief auch bei Fänna nicht immer alles reibungslos. Manchmal wurden die Tauben Opfer von Raubvögeln, in den Wintertagen starben sie in Wind und Hagel, oder sie versteckten sich unerwartet in den Bäumen. „Kommt her, oder ich brate euch heute zum Abendessen!“, schrie Fänna dann, während die Nachbarsjungen um Hans-Dieter Baroth lachten und riefen: „Mensch, Fänna, iss datt Viech jetzt Dortmund-Fan?“
Doch an einem Sonntag, bei einem Spiel zwischen Erkenschwick und Dellbrück, kam der junge Baroth umsonst zum Haus an der Engelbertstraße. Fänna stand nicht am Fenster, die Tauben flogen nicht. Baroth hörte am Abend, dass Fänna im Flöz gestorben sei, aufgeschlitzt von einem Felsbrocken, verblutet am Karnevalsdienstag. In jenen Jahren, kurz vor Bundesligastart, hatte sich die Radioreportage etabliert, und auch Hans-Dieter Baroth wusste, dass es Zeit war zu gehen. Er packte seine Sachen und zog weg aus Oer-Erkenschwick.
ncG1vNJzZmhpYZu%2FpsHNnZxnnJVkrrPAyKScpWeVqrCpecaen157Y1qPd77TZpueql2dtq65xKVmbXBga4N4